China & Europa 2026: Ein Executive Briefing
Perspektiven für Einkauf, Supply Chain und Industrie in einer unruhigen Welt
Hinweis: Dieses Papier greift Gedanken aus meinem Vortrag auf der Hannover Messe 2012¹ auf, ordnet sie aber für das Jahr 2026 neu und deutlich schärfer ein.
1. Einleitung: 2026 und die Realität eines alten Problems
Wer heute durch Stuttgart fährt, sieht einen Bahnhof, der eigentlich längst fertig sein sollte und doch immer noch nicht ist. Das Projekt ist zum Sinnbild geworden: für Verfahren, die sich selbst im Weg stehen, und eine politische Kultur, die Komplexität ungern auflöst.
Als ich 2012 auf der Hannover Messe sagte: „Europa diskutiert, China baut“, war das eher eine zugespitzte Beobachtung.
Vierzehn Jahre später ist es leider eine nüchterne Diagnose.
China hat in dieser Zeit nicht nur gebaut, sondern skaliert, verknüpft und beschleunigt. In einer Konsequenz, die Europa strukturell gar nicht mehr herstellen kann.
Das Ergebnis ist spürbar: dynamische Systeme überholen langsame. Punkt.
2. Europa verliert Tempo, China erhöht das Grundrauschen
Europa schafft es 2026 nicht, aus dem eigenen Kreisverkehr auszubrechen.
Regulatorik, Energiepreise, Fachkräfte, Zurückhaltung bei Investitionen. Es ist kein einzelnes Problem. Es ist die Kombination, die lähmt.
China agiert dagegen in anderen Zeithorizonten.
Weniger Debatte, mehr Umsetzung.
Weniger Prozess, mehr Richtung.
Und das ist kein kulturelles Klischee, sondern ein politisch gewolltes Betriebssystem.
Man kann es drehen, wie man will:
Europa ordnet sich neu. China baut weiter.
Und dieser Unterschied macht inzwischen den strategischen Abstand aus.
3. Globalisierung ist 2026 nicht tot, sie ist nur härter geworden
Vor zehn, fünfzehn Jahren war Global Sourcing in vielen Unternehmen ein reines Kostenspiel.
Heute ist es ein Risikomanagement, und ein komplexes dazu.
China bleibt unverzichtbar, aus mehreren Gründen:
- Skalierbarkeit
- Technologie
- Geschwindigkeit
- Clusterstrukturen
Aber wer sich 2012 ausschließlich auf China konzentrierte, muss 2026 den Fehlglauben korrigieren: Ein Weltmarkt ohne China existiert nicht, aber ein Weltmarkt nur mit China funktioniert genauso wenig.
Deshalb:
- China+1
- China+N
- Dual Sourcing
- Exposures messen
- Szenarien entwickeln
Kosten sind Teil der Rechnung, aber sie entscheiden nicht mehr allein.
4. Was sich seit meinem Vortrag 2012 bestätigt hat
Ein paar Punkte von damals wirken heute fast banal. Aber nur, weil sie eingetreten sind:
„China holt technologisch auf.“
Heute führt China in Batterien, Solar, Robotik, Teilen der Chemie und der Elektronik.
„Beziehungen sind entscheidend.“
2026 gilt das stärker denn je: Lieferketten funktionieren über Vertrauen, nicht über Preislisten.
„Global Sourcing ist ein Lernprozess.“
Stimmt immer noch. Nur ist das Lernfeld heute breiter, politischer und wesentlich riskanter.
„Wandel durch Handel funktioniert, wenn Handel möglich ist.“
2026 sehen wir die Grenzen dieses Prinzips: Handel ist politisch geworden.
5. China 2026: Nicht billig, sondern gut organisiert
China ist längst kein Niedriglohnstandort mehr, aber nach wie vor ein Standort mit strukturellen Vorteilen.
Warum?
- Arbeitskosten sind gestiegen, aber Produktivität und Automatisierung ebenso.
- Küstenregionen entwickeln High-Tech auf Augenhöhe mit dem Westen.
- Das Hinterland bleibt kostenstark bei einfachen Prozessen.
- Skalierungsgeschwindigkeit ist unübertroffen.
Und das Wichtigste:
Cluster denken und handeln wie Ökosysteme.
Europa hat diese Strukturen in vielen Bereichen verloren.
6. Einkauf & Supply Chain 2026: Was wirklich zählt
A) Einkauf ist kein Helferlein, er ist ein Machtfaktor
Der Einkauf von heute bestimmt Stabilität von morgen.
Nicht, weil Preise wichtiger wären als früher, sondern weil Risiken größer sind als je zuvor.
B) Lieferketten brauchen Führung, nicht Verwaltung
Excel ersetzt keine Steuerung.
Firefighting ersetzt keine Struktur.
Und PowerPoint ersetzt keine Alternativen.
Ohne echte Transparenz (mindestens bis Tier-3) bleibt alles Aktionismus.
C) Reshoring wirkt politisch gut, praktisch selten
Europa kann vieles, aber nicht alles.
Wer glaubt, man könne ganze Lieferketten einfach zurückholen, unterschätzt die Jahre an verlorener Aufbauarbeit.
Die richtige Frage lautet:
Welche Aktivitäten sind strategisch sinnvoll hier und welche systemisch vernünftiger dort?
D) Ohne Präsenz in Asien bleibt jede Strategie brüchig
Geschwindigkeit versteht man nur vor Ort.
Beziehungen baut man nur auf, wenn man da ist.
Und Respekt entsteht nicht digital.
7. Was Unternehmen jetzt tun müssen – ohne Ausreden
1. Lieferketten auf CEO-Level heben.
Solange der Einkauf „untergeordnet“ ist, bleibt alles Stückwerk.
2. Risikoarchitektur professionalisieren.
Exportkontrollen, Dual-Use, politische Exposures, Rohstoffabhängigkeiten.
3. China als Baustein nutzen, aber nicht als Monolith.
4. Beschaffungsorganisation sauber aufstellen.
Rollen, Verantwortlichkeiten, KPIs: alles, was vielen Unternehmen bis heute fehlt.
5. Asiatische Partnerschaftslogiken ernst nehmen.
Vertrauen > Opportunismus.
Konstanz > Aktionismus.
8. Schlussfolgerung: Warum 2026 ein Wendepunkt ist
Europa verliert nicht an China.
Europa verliert an sich selbst, an Mutlosigkeit, an dem Drang, Probleme endlos zu diskutieren, statt sie zu lösen.
China macht Fehler, selbstverständlich. Aber China handelt.
Und genau hier liegt der Unterschied:
Der Einkauf der Zukunft ist kein Preisoptimierer, sondern ein Architekt von Stabilität.
Die Unternehmen, die das begreifen, werden überleben.
Die anderen werden irgendwann überholt. Nicht durch China, sondern durch ihre eigene Trägheit.
¹ Audiomitschnitt des Originalvortrags von 2012:
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